1. Minderung
2. Unmöglichkeit
3. Wegfall/Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
1. Minderung:
Nach einer Meinung ist eine Minderung bis zu 100 % möglich, wenn eine behördliche/gesetzliche Schließung vorliegt. Nach überwiegender Auffassung wird die bisherige BGH-Rechtsprechung jedoch so verstanden, dass keine Minderung in Betracht kommt. Denn der BGH geht davon aus, dass die Gebrauchseinschränkungen der Mietsache ihre Ursache in der Beschaffenheit der Mietsache und ihrer Beziehung zur Umwelt haben müssen und nicht in betrieblichen Umständen. Hoheitliche Maßnahmen können danach nur dann einen Mangel der Mietsache darstellen, wenn sie unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der konkreten Mietsache in Zusammenhang stehen. Bei den Betriebsschließungen aufgrund der Coronaschutzverordnung wurde jedoch nicht auf die konkrete Beschaffenheit der Mietsache abgestellt, sondern auf den Betrieb / die Nutzungsart und den damit verbundenen Publikumsverkehr und die damit verbundenen Infektionsrisiken.
Mit dieser Argumentation wurde vom LG Heidelberg das Vorliegen eines Mangels und somit eine Minderung verneint (Urteil vom 30.07.2020, 5 O 66/20).
Auch
- LG Zweibrücken (Urteil vom 11.09.2020, HK O 17/20),
- LG München II (Urteil vom 22.09.2020, 13 O 1657/20),
- LG Frankfurt a.M. (Urteil vom 02.10.2020, 2-15 O 23/20),
- LG München II (Urteil vom 06.10.2020, 13 O 2044/20),
- LG Mönchengladbach (Urteil vom 02.11.2020, 12 O 154/20),
- LG Wiesbaden (Urteil vom 05.11.2020, 9 O 852/20),
- AG Düsseldorf (Urteil vom 10.11.2020, 45 C 245/20),
- LG Stuttgart (Urteil vom 19.11.2020, 11 O 215/20),
- LG Lüneburg (Urteil vom 26.11.2020, 5 O 158/20)
verneinen einen Mangel.
Das AG Köln (Urteil vom 04.11.2020, 206 C 76/20) verneint ebenfalls das Vorliegen eines Mangels. Es betont, es habe alleine der unternehmerischen Entscheidung der Mieterin unterlegen, "ob und inwieweit sie die gemieteten Räumlichkeiten während der Zeit der Schließungsanordnung in oder auch außerhalb des Rahmens ihres bisherigen Einzelhandelsgeschäfts auf andere Art und Weise nutzte (Onlinehandel, to-go-Verkauf etc.) es also alleine die Mieterin in der Hand hatte, die Auswirkungen der Schließungsanordnung auf ihren Gewerbebetrieb abzumildern."
Anderer Ansicht ist jedoch das LG München I (Urteil vom 22.09.2020, 3 O 4495/20): Es nimmt unter Verweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts von vor über 100 Jahren einen Mangel an. Für die Höhe der Minderung berücksichtigt das Gericht, inwieweit Publikumsverkehr fast unmöglich war (dann 80%), bzw. inwieweit Teile der Fläche geöffnet werden durften (50%) oder zwar komplett geöffnet werden durfte, aber die zulässige Kundenanzahl beschränkt war (15%).
Auch das LG Kempten (Urteil vom 07.12.2020, 23 O 753/20) bejaht das Vorliegen eines Mangels bei Schließung eines Einzelhandels mit Bekleidung im Frühjahrs-Lockdown 2020. Es hält eine Minderung um 50 % für gegeben.
Falls eine Minderung in Betracht gezogen wird, wäre zu bedenken, dass die Räumlichkeiten gegebenenfalls noch zu Renovierungsarbeiten, Umbau, Betrieb eines Abhol- oder Lieferservice oder ähnlichem genutzt werden können, oder dass dort noch Ware lagert. Eine Minderung um 100 % dürfte kaum jemals gegeben sein.
Anders gesehen hat dies das AG Pinneberg (Urteil vom 17.11.2020, 81 C 18/20). Es bejaht einen Mangel, weil im konkreten Vertrag als Mietzweck „Nutzung als Gastronomiebetrieb“ vereinbart worden war und außerdem vereinbart worden war, dass der Vermieter „behördliche Genehmigungen, Anordnungen und/oder Auflagen, die ausschließlich auf der allgemeinen Beschaffenheit und/oder Lage des Mietobjekts beruhen“ zu erfüllen hatte. Aufgrund dieser Zweckvereinbarung im Mietvertrag und weil der Betrieb von Gastronomie im streitgegenständlichen Zeitraum verboten war, bejaht das AG Pinneberg einen Mangel. Die Miete sei auf 0 gemindert gewesen, da die Mietsache „überhaupt nicht“ genutzt werden konnte. Aus den uns vorliegenden – möglicherweise jedoch gekürzten – Urteilsgründen geht nicht hervor, wie das Gericht das vollständige Entfallen der Nutzungsmöglichkeit begründet, obwohl – so steht es im Sachverhalt – ein außer Haus Verkauf zulässig gewesen wäre.
2. Unmöglichkeit:
Wäre dem Vermieter die Erfüllung seiner Leistungspflicht unmöglich, würde die Gegenleistungspflicht des Mieters (Mietzahlungspflicht) entfallen. Zu beachten ist jedoch, dass der Vermieter nur eine Gebrauchsmöglichkeit schaffen muss; ob der Mieter die Mietsache dann nutzt oder nutzen kann, ist grundsätzlich sein Risiko. Der Mieter trägt das „Verwendungsrisiko“. Das LG Zweibrücken (s.o.) zieht hierzu einen Vergleich mit dem umgekehrten Fall: Würden sich aufgrund behördlicher Maßnahmen die Umsatzzahlen steigern lassen (zum Beispiel aufgrund verlängerter Einkaufszeiten), würde auch keine Pflicht zur höheren Mietzahlung angenommen. Auch alle anderen oben genannten Urteile verneinen Unmöglichkeit.
3. Wegfall/Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB):
Der Wegfall bzw. die Störung der Geschäftsgrundlage führt zu einer Anpassung des Vertrages, wenn es für eine Partei unzumutbar ist, am Vertrag festzuhalten. Die Einzelheiten können hier nicht dargestellt werden.
Das AG Köln (s.o.) hält § 313 BGB für nicht anwendbar.
Bei einer Umsatzmiete zweifelt das LG Heidelberg (s.o.) ebenfalls an der Anwendbarkeit von § 313 BGB.
Im konkreten Fall hielt es jedenfalls die Unzumutbarkeit für nicht gegeben: Da der Mieter das Verwendungsrisiko trage, sei „das Maß der Unzumutbarkeit […] nur bei substantiierter Darlegung des Mieters erreicht, in der eigenen Existenz gefährdet oder jedenfalls in solchem Ausmaß wirtschaftlich betroffen zu sein, das ein weiteres Festhalten am unveränderten Mietvertrag unter Berücksichtigung aller übrigen Umstände als unzumutbar erscheinen lässt“ (Ebenso LG Düsseldorf, s.o.). Bei der Prüfung bewertet das LG Heidelberg unter anderem
- dass die Räume noch als Lager und zum Abbau von Saisonware genutzt werden konnten,
- dass eine Existenzgefährdung o.ä. nicht dargelegt worden sei,
- dass die Mieterin keine Anstrengungen gemacht habe, anderweitig (zum Beispiel durch Online-Verkauf) Umsätze zu generieren,
- dass die Mieterin nicht versucht habe, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen,
- dass sie nicht mit Lieferanten usw. verhandelt habe, um laufende Kosten zu decken,
- und dass die Schließung nur viereinhalb Wochen gedauert habe, während im Vertrag selbst bei einer Unzumutbarkeitsregelung auf einen Zeitraum von sechs Monaten abgestellt wurde.
Eine ähnliche vertragliche Regelung gab es im Fall des LG Stuttgart, das (unter anderem) auch deshalb die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag verneinte.
Auch das LG Zweibrücken hat im konkreten Fall eine Störung der Geschäftsgrundlage verneint:
- Zunächst sei zu berücksichtigen, dass der Vermieter regelmäßig auf die Einnahmen aus der Vermietung angewiesen sei. Er habe weiter fortlaufende Finanzierungs- und Erhaltungsmaßnahmekosten für das Objekt.
- Auch könne der Mieter staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, wie das Kurzarbeitergeld.
- Auch die bei der Gewerbemiete relevante Umsatzsteuer sei vorübergehend reduziert worden.
- Der Mieter könne das Risiko mit einer Betriebsausfallversicherung minimieren. Er könne die (zur Nutzung als Einzelhandelsgeschäft gemieteten) Räume noch als Lager, Büro und für den Online-Vertrieb nutzen.
- Er müsse Kompensationsmaßnahmen kreieren, wie Onlineshop, Gutscheinmodelle, Rabattaktionen, bevor er die Anpassung des Vertrages verlangen könne.
Unter Würdigung all dieser Umstände komme eine Anpassung der Miete jedenfalls nicht bereits ab dem ersten oder zweiten Monat der Auswirkungen der behördlichen Beschränkungen in Betracht. Selbst wenn eine Störung der Geschäftsgrundlage in einem Fall angenommen werden könne, hält das LG Zweibrücken es nicht für gerechtfertigt, die dann gebotene Vertragsanpassung sofort in Form der Herabsetzung der Miete durchzuführen: Sachgerechter wäre laut LG Zweibrücken eine zeitlich begrenzte Vertragsanpassung wie z.B. (Teil-)Stundungen und ähnliches.
Das LG Frankfurt a.M. (s.o.) verneinte im entschiedenen Fall ebenfalls eine Störung der Geschäftsgrundlage, weil keine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag dargelegt worden sei:
- Es sei nicht dargelegt worden, dass es hier zu existentiell bedeutsamen Folgen für den Mieter gekommen sei;
- Bloßen Liquiditätsengpässen habe das sog. Mietrechtsmoratorium (dazu siehe unten) Rechnung getragen und
- der Zeitraum der Schließung habe letztlich nur einen Monat betragen. Für diese Zeit habe der Mieter durch Kurzarbeit beträchtliche Einsparungen gehabt.
Diese beiden Punkte wurden vom LG Stuttgart ebenso beurteilt.
Für das LG Düsseldorf spricht es entscheidend gegen eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag, dass der Zeitraum der Schließung nur 26 Arbeitstage betrug.
Im Fall des LG Wiesbaden konnte das Gericht ebenfalls keine Existenzgefährdung feststellen – die Mieterin, ein Café, hatte im Prozess nichts dazu vorgetragen und sie war auf ein Stundungsangebot des Vermieters nicht eingegangen.
Auf einen anderen Aspekt stellt das LG München II in seinen Urteilen ab: Ein Umsatzausfall von fünf Wochen falle bei Betrachtung der mehrjährigen wirtschaftlichen Entwicklung und einem Mietvertrag, der bereits seit 2009 bestand, nicht erheblich ins Gewicht. Die Mieterin sei zwar dadurch wirtschaftlich belastet worden, dass sie ihre insgesamt 203 Filialen in ganz Deutschland habe schließen müssen; dies habe jedoch nichts mit dem einzelnen Mietvertrag zu tun. Auch habe sie erhebliche Kosteneinsparungen durch das Kurzarbeitergeld erzielen können.
Soweit ersichtlich, haben bisher (nur) drei Gerichte im konkreten Einzelfall eine Störung der Geschäftsgrundlage bejaht und eine Vertragsanpassung vorgenommen:
- Das LG München I (Urteil vom 05.10.2020, 34 O 6013/20) hielt bei einer Schließung eines Ladengeschäfts für Kunstfotografien von knapp eineinhalb Monaten eine Mietreduzierung auf 50% für eineinhalb Monate für angemessen. Es verlangt ausdrücklich nicht, dass dem Mieter Insolvenz droht. Es zieht zwar offenbar in Erwägung, ob der Mieter auf Onlinehandel habe ausweichen müssen, verwirft diesen Gedanken jedoch für Kunstfotografien.
- Das LG Mönchengladbach (Urteil vom 02.11.2020, 12 O 154/20) spricht für eine einmonatige Betriebsschließung eine hälftige Mietreduzierung zu. Diese gelte auch für die verbrauchsunabhängigen Betriebskosten, nicht jedoch für die verbrauchsabhängigen.
- Das LG Kempten (siehe bereits oben zur Minderung) hält eine Vertragsanpassung auf 50 % der Miete für angemessen: Eine Prüfung von Zumutbarkeit oder Existenzgefährung wird dort nicht vorgenommen.